Chrilles Backstübchen
BäckerAsthma
Der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten wurden im Jahre 1985 mehr als 1.000 Fälle der Berufskrankheit ,,Obstruktive Atemwegserkrankung~' gemeldet, die unter dem Namen ,,Bäckerasthma' besser bekannt ist. Hieraus wird deutlich, daß es sich um eine Berufskrankheit handelt, die vor allem im Backgewerbe auftritt. Aber auch andere Beschäftigte, die mit Mehl umgehen, können davon betroffen werden. Das Bäckerasthma ist eine Allergie, die durch Mehlstaub entsteht. Dabei reagiert das Immunsystem des Körpers gegen den an sich harmlosen Fremdstoff ,,Mehl". Die Reaktion kann sich auf Fließschnupfen beschränken, kann aber auch zu Asthmaanfällen mit Atemnot führen.
Zwar sind in den letzten Jahren bei der medizinischen Behandlung dieser Allergie Fortschritte erzielt worden, eine gesundheitliche Stabilisierung bei Verbleiben im Beruf ist jedoch nicht gewährleistet. Hier setzen die Leistungen der Berufsgenossenschaft ein, die häufig mit der Aufgabe des Berufes und Umschulungsmaßnahmen verbunden sind.
Welche gravierenden Folgen für den Einzelnen daraus entstehen können ist leicht vorstellbar.
Anzeichen
Die Berufskrankheit tritt nicht schlagartig auf; vielmehr kündigt sich das beginnende Bronchialasthma durch folgende oft kaum beachtete immer lästiger werdende Beschwerden an:
Augentränen Hustenanfälle
Fließschnupfen Auswurf
Nieszwang Atembeschwerden
Treten diese Beschwerden wiederholt oder ständig während der Arbeitszeit auf, ~
so liegt der Verdacht einer beginnenden Erkrankung nahe. Umgehendes Aufsuchen ~
eines Facharztes ist im eigenen Interesse dringend anzuraten.
Erkenntnisse
Eine Analyse der gemeldeten Berufskrankheits-Fälle ,,Bäckerasthma" läßt 2 Gruppen von Erkrankten erkennen:
1. Mehr als ½ der Betroffenen erkranken in den ersten 5 Berufsjahren.
2. Mehr als die Hälfte der Betroffenen haben schon mehr als 10 Jahre
Umgang mit Mehl und sind daher dem Mehlstaub ausgesetzt gewesen.
Mit anderen Worten: Ein Teil der Betroffenen bringt eine Allergiebereitschaft mit in den Beruf, es genügen schon geringe Zeiten und Staubmengen, bis die Krankheit zum Ausbruch kommt. Bei den anderen Erkrankten ist eine längere Einwirkungszeit notwendig, um das Immunsystem aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Jährlich werden der Berufsgenossenschaft Nahrungsminel und Gaststätten etwa 1 % der Beschäftigten aus Backstuben als erkrankt gemeldet. Medizinische Reihenuntersuchungen haben ergeben, daß mehr als 20 % der tätigen Bäcker eine ,,Veranlagung" zum Bäckerasthma haben. Aus dem oben Gesagten ist aber zu ersehen, daß nicht vorhergesagt werden kann, ob und wann es ihn trifft.
Maßnahmen
Aus diesen Erkenntnissen resultieren zwei Maßnahmen, die an sich logisch sind, aber nicht einfach zu realisieren:
1. Die gegenwärtigen medizinischen Untersuchungsmethoden lassen nicht mit genügender Sicherheit eine Voraussage machen, ob eine Allergiebereitschaft vorliegt oder nicht. Daher gibt es noch keine zwingende berufsgenossenschaftliche Vorschrift für Einstellungsuntersuchungen.
Trotzdem wird dringend empfohlen, insbesondere bei der Einstellung von Auszubildenden den Rat eines Arztes einzuholen.
2. Mehlstaub darf nicht in die Atemluft gelangen.
Bei der Teigbereitung entsteht aus produktionstechnischen Gründen bei folgenden Arbeitsvorgängen Mehlstaub:
- Eingab. des Mehles in die Mehlsiebmaschine
- Sieben des Mehles von Hand aus dem Sack
- Eingabe des Mehles in die Knetmaschine aus dem Mehlsilo, Mehlsack oder Mehlbehälter (Bild 1)
- Ankneten bzw. Mischen beim Anlaufen der Knetmaschine oder Nachschütten von Mehl während des Knetablaufes
- Mehlstreuen bei manueller oder maschineller Teigaufbereitung
- Bestauben des Arbeitstisches, der Backkörbe, des Transportbandes bei der Ausrollmaschine usw. (Bild 2)
Das Bemühen muß darauf gerichtet sein, durch technische Maßnahmen zu erreichen, daß möglichst wenig Mehistaub in die Atemluft gelangt. Darüber hinaus muß jeder, der mit Mehl umgeht, seine individuelle Arbeitsweise so einrichten, daß kein Mehlstaub entsteht.
Im Zuge dieser Maßnahmen wurde nach Absprache mit den Knetmaschinenherstellern festgelegt, daß ab 01. Juni 1983 nur noch Knetmaschinen zum Verkauf kommen, deren Bottich mit einem Deckel (Haube) geschlossen werden kann. Versuche und Staubmessungen haben gezeigt, daß bei geschlossenem Bottich nur noch geringe Staubmengen während der Anknetzeit aus der Knetmaschine frei werden. Eine freigelassene Ankratzöffnung im Deckel vermindert diese Wirkung nur unwesentlich. - Es ist möglich, auch ältere Maschinen, insbesondere Spiralknetmaschinen an Stelle des Schutzgitters mit einem geschlossenen Deckel nachzurüsten (Bild 3 und 4).
Für den Arbeitsvorgang ,,Einfüllen des Mehles in den Bottich der Knetmaschine" werden von der Industrie vor allem für ausfahrbare Bottiche in Verbindung mit Siloanlagen Lösungen angeboten, die ein staubfreies Einfüllen ermöglichen z. B. kann eine Absauganlage in Verbindung mit dem vorgeschalteten Siebteil und einer festen Haube an der Füllstelle den Mehlstaub abfangen und wieder direkt in die Silowaage, zurückführen. Daneben gibt es aber auch Einzelabsaugungen mit einem Trichter, die nachträglich eingebaut werden können. Diese erfassen Stäube, die sowohl beim Einfüllen des Mehles - gleichgültig ob aus Silo oder Sack - als auch in der Anknetphase entstehen (Bild 5, 6 und 7).
Die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten hat in einigen handwerklichen Backbetrieben versuchsweise Staubabsauganlagen eingerichtet. Der Mehlstaub wird hierbei unmittelbar an all den Stellen abgesaugt, an denen er entsteht:
Knetmaschine, Arbeitstisch, Ausrollmaschine, Wirkmaschine usw. Die abgesaugte Luft wird einem Filter zugeführt, die Reinluft gelangt in die Backstube zurück. Damit soll sichergestellt werden, daß sich die Luft bzw. Klimaverhältnisse in der Backstube nicht ändern. - Versuche haben aber ergeben, daß die Rückführung der Reinluft in die Backstube nicht zwingend notwendig ist. Man kann die abgesaugte Luft nach Filterung auch direkt in's Freie ablassen. Damit werden an den Filter nicht so hohe Anforderungen gestellt, die Anlage kann preiswerter ausgeführt werden. Es wurde festgestellt, daß die erhöhte Luftumwälzung und auch die nachströmende Frischluft keinen wesentlichen Einfluß auf die Teigführung hat (Bild 8).
Die bisher vorliegenden Ergebnisse haben gezeigt, daß die Staubbelastung in der Atemluft um mehr als 80 % vermindert werden kann. Die Beschäftigten in diesen Betrieben bestätigen, daß die Atemluft am Arbeitsplatz ,,viel sauberer" ist. Bereits Erkrankte können im allgemeinen ohne Beeinträchtigung weiter arbeiten.
Mit Luftreinigungsgeräten auf Elektrofilterbasis kann dieser Effekt nicht erreicht werden, weil die Mehlstäube nicht an den Entstehungsstellen erfaßt werden.
Bei Neu- oder Umbauten von Backstuben muß daher immer in die Überlegungen mit einbezogen werden, auf welche Art und weise die arbeitshygienischen Verhältnisse verbessert werden können. Die hier aufgezeigten Maßnahmen kosten, je nach Ausführung, z.Zt. zwischen 10.000,-und 20.000,-DM.
Abgesehen von diesen technischen Maßnahmen haben unsere Beobachtungen ergeben, daß man ,,so und so" mit Mehl umgehen kann. Jeder Einzelne sollte sich selbst beobachten und so erziehen, daß bei seiner Arbeitsweise möglichst wenig Mehlstaub entsteht.
Staubmasken
Damit der Mehlstaub nicht in die Atemwege gelangt, werden von verschiedenen Stellen, insbesondere von Fachärzten, Staubmasken empfohlen. Es wird von begleitenden medizinischen Untersuchungen berichtet, die nach ständigem Tragen von Staubmasken sogar eine Besserung des Krankhetsbildes festgestellt haben wollen.
Es muß aber betont werden, daß die Krankheit nur zum Stillstand kommen kann, wenn die Staubmaske während der gesamten Arbeitszeit in der Backstube getragen wird.
Zeitweiliges Tragen, z. B. während der Zeit der Teigbereitung, zeitigt nur scheinbar Fortschritte.
Für den Zweck eignen sich vornehmlich Einweg-Masken aus Fließstoff, die Mund und Nase urnschließen und gut jeder Gesichtsform angepaßt werden können. Durch die zwangsläufig eintretende Feuchtigkeitsaufnahme aus der Atemluft, dem Schweiß und der Backstubenluft und durch den Mehlstaub erhöht sich der Atemwiderstand. Daraus ergeben sich unterschiedliche Tragezeiten von 1 bis 3 Tagen, an denen die Staubmaske die gewünschte Wirkung bringt. Das setzt aber voraus, daß die Masken an einem trockenen und staubfreien Ort aufbewahrt werden.
Nach der Unfallverhütungsvorschrift ,,Allgemeine Vorschriften" § 4 ,,Persönliche Schutzausrüstungen" sind die Kosten für Atemschutzmasken vom Unternehmer zu tragen. Es müssen Masken der Schutzstufe Pl verwendet werden.
An dieser Stelle darf nicht verschwiegen werden, daß Atemschutzmasken kein geeignetes Mittel sind, das Problem ,,Bäckerasthma" auf Dauer zu lösen. Das ständige Tragen bringt Belästigungen mit sich, die von Schwierigkeiten bei der Atmung bis zu Hautreizungen im Bereich der Maske und hier wiederum an den Rändern, an denen die Maske anliegt, reichen.
Schlußbetrachtung
Bronchialasthma ist eine Berufskrankheit, die von der Berufsgenossenschaft entschädigt werden muß. Daher ist vom Unternehmer und vom behandelnden Arzt eine Anzeige über die Berufskrankheit zu erstatten. Die Berufsgenossenschaft ist dann verpflichtet, von Amts wegen die notwendigen Schritte zur Abklärung der Krankheit und zur sogenannten Berufshilfe in die Wege zu leiten. Die Entschädigungsleistungen, die über den Beitrag vom Backgewerbe letzten Endes aufzubringen sind, sind erheblich.
Alle Betroffenen im weitesten Sinne, und damit sind nicht nur die Erkrankten gemeint, sondern das gesamte Backgewerbe, aber auch die Hersteller, die Einrichtungen für das Backgewerbe liefern, müssen sich darüber im Klaren sein, daß die arbeitshygienischen Verhältnissen verbessert werden müssen. Die aufgezeigten Maßnahmen kosten sicherlich auch Geld. Aber das ist vorbeugend zur allgemeinen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Backstuben nützlicher eingesetzt, als über den Umweg über die Berufsgenossenschaft als Rente an Erkrankte oder als Leistung an Einrichtungen die Umschulungsmaßnahmen durchführen.
e.